Bilder zur "BACK IN THE WORLD TOUR"

 Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 02.05.2003

 Das Denkmal lebt (Von UWE JANSSEN)

 

Es ist dieser eine Moment, auf den alle warten. Die Gaukler haben die Bühne verlassen, es ist Zeit für den Auftritt des Helden.

Plötzlich zeigt die Leinwand einen Schattenriss. Seinen Schattenriss.

Mit Geigenbass. Jenem Geigenbass.

Die Leinwand fährt hoch. Paul McCartney kommt. Er erscheint. Winkend.

Das ist der Moment. 10.000 Menschen teilen einen Raum mit ihm.

Wie hält man nur diesen Augenblick fest?

10.000 Menschen. Vor 40 Jahren hätte eine solche Masse beim Anblick der Beatles die Halle in Grund und Boden geschrieen. Doch hier ist keine Beatlemania, sondern die Besichtigung von Weltkulturerbe. Manche sitzen einfach nur da und starren hin. Der Versuch, die Bedeutung dieses Moments zu dimensionieren, muss scheitern. Morgen vielleicht. Jetzt ist keine Zeit zum Denken, jetzt wird gefühlt. Mehr Beatles wird man für den Rest seines Lebens nicht mehr bekommen.

Paul McCartney lässt von vornherein keinen Zweifel daran, wohin die Reise geht an diesem Abend in der Preussag Arena. „Hello Goodbye“ zu Beginn, und nach „Jet“, einem der sparsam eingestreuten Wings-Songs, sind wir mittendrin in der Mottenkiste. Über die Leinwand flimmern Pilzköpfe und schreiende Mädchen und ach, die gute alte Zeit. Dazu „All my loving“, nicht gerade ein großer kompositorischer Wurf, aber Teil der Historie und damit in Stein gemeißelt und denkmalgeschützt. Der 60-jährige McCartney und seine vier jüngeren, ausgezeichneten Musiker rütteln bis auf seltene Ausnahmen nicht an den Denkmälern.

Doch gerade die Ausnahmen zählen zu den wenigen musikalisch spannenden Momenten. Dem verstorbenen George Harrison widmet McCartney „Something“ solo auf einer Ukulele.

Der Rest ist bekannt, aber um musikalische Innovation geht‘s hier schließlich auch nicht. In dieser Hinsicht hat der Mann seinen Beitrag vor Jahrzehnten geleistet, in einer Ideendichte, die bis heute jedem Songschreiber den Griffel aus der Hand fallen lässt. Davon kann man lange zehren, und McCartney tut nichts anderes. Es funktioniert ja auch. In der Preussag Arena wird ein Retro-Fest gefeiert, nebst freundlicher Atmosphäre im komplett bestuhlten Saal.

Wie auf jeder Station seiner Tournee, der Ablauf ist immer der gleiche, selbst die Ansagen zwischen den Songs. McCartney streut -mit Hilfe eines Teleprompters zu seinen Füßen - deutsche Sätze ein, zieht die Augenbrauen hoch und lächelt das verschmitzte, jungenhafte McCartney-Lächeln. Der liebe Beatle. Mit den lieben, harmoniefreudigen Songs in schwelgerischen Arrangements, hinter denen immer weniger Weltbewegendes zu stecken schien als hinter den schrägen Kompositionen John Lennons. Was natürlich nur die halbe Wahrheit ist.

Und als ob er den Gegenbeweis erbringen wolle, spielt der liebe Beatle „Blackbird“, ein Lied gegen Rassenhass. Und packt dann die zauberhaftesten Beweise seiner Kompositionskunst aus.,, Mother Nature‘s Son“, „Fool on the Hill“, „Eleanor Rigby“ oder „She‘s leaving home“, das live bislang noch nicht zu hören war. Dieser Song stammt vom „Stg.-Pepper“ -Album, aus einer Zeit also als die Beatles die Arbeit auf der Bühne schon eingestellt hatten, weil sie ihre immer komplizierter arrangierten Werke für unaufführbar hielten. Heute kommt das Trickwerk aus Rechnern, Samplern und Synthesizern - damit es so klingt wie vor 40 Jahren.

Rockig wird‘s, obwohl mehrfach angekündigt, nur selten. Bei „Back in the U.S.S.R.“ (hübsch garniert mit Bilderfolgen im MTV-Stakkato), „Can‘t buy me Love“ oder dem Bond-Song „Live and let die“ mit lauten Action-Explosionen springt das dankbare Publikum sofort auf und geht so mit wie ein Häuflein Unentwegter, das schon zu Beginn nach vorn gestürmt ist und denen in den ersten Reihen mit den ganz teuren Karten die Sicht genommen haben. Ein bisschen Rock n‘ Roll ist eben doch immer noch.

Aber McCartney nimmt immer wieder das Tempo aus der Show, wechselt vom Hofner-Bass zur akustischen Gitarre, dann wieder ans Klavier. Und zur Zugabe wechselt er auch das T-Shirt „No more Land mines“ steht drauf, auch dies ist fester Bestandteil der McCartney-Reise.

Fast drei Stunden sind in der Arena am Ende vergangen. McCartney hat alles gespielt, was zu spielen war, zum Schluss auch noch „Yesterday“ - bevor er nach „The End“, dem letzten von fast 40 Songs und einem letzten Autogramm von der Bühne herab den Saal verlässt. Winkend. Wie er gekommen war.

Es war ein leiser Rausch im Rückspiegel. Aber ein Rausch. Man wird den Freunden davon erzählen. Aber jetzt tun doch ein bisschen die Füße weh.

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